Soll man sich zu Work-Life-Balance zwingen? Ich sage JA!

Nach dem siebenten Anlauf seit Beginn der Wiener Badesaison Anfang Mai habe ich mir nun endlich einen Wunsch erfüllt: Ein Besuch im Krapfenwaldbad an einem ganz normalen Arbeitstag. Warum das Krapfenwaldl und warum sieben Anläufe? Dieses wunderschöne Wiener Bad im 19. Bezirk, das 1928 erbaut und kaum verändert wurde, liegt am Beginn der Höhenstraße und ist für mich nicht nur das schönste Bad Wiens, weil tolle Lage mit noch tollerer Aussicht über Wien, inmitten von Föhren und Birken – es ist auch die Stätte meiner Jugend. Hier im Krawa habe ich in den Achtziger Jahren so viele schöne Stunden verbracht, war mit Freunden hier vor oder nach dem Schnittlauchbrot im Salettl oder eben auch alleine. Hergefahren bin ich seinerzeit mit der auffrisierten Vespa meines Bruders, diese fuhr ich natürlich mit meinen 14 oder 15 Jahren ohne Berechtigung, eh klar, sonst wäre es ja langweilig gewesen. Mit 18 machte ich den Führerschein für das Auto und für das Motorrad und fuhr auch viele Jahre einen sogenannten Gatschhupfer, eine Motocross Maschine (Yamaha 600 Ténéré). Ich war immer schon eine wilde Henne. Heute kam ich witziger weise wieder mit einem Motorrad, einer Vespa hier her ins Krawa. Mein Bruder hat sie mir über den Sommer geborgt. Ich war also bereits beim Wegfahren aus der Stadt in jener Stimmung, die mir so viele Jahre vertraut war. Sogar die Mücken sind mir wieder in den Mund geflogen, weil ich beim Fahren gesungen habe und daher mein Mund geöffnet war. Dafür streckte ich meinen linken Fuß ganz lässig weg von der Vespa, so wie ich mir das seinerzeit in den Siebzigern an der Oberen Adria von den feschen, lässigen Italienern abgeschaut hatte. Angekommen hier im Bad führte mich mein Weg schnurstracks ins Sonnenbad, auch Damenbad genannt. Das ist ein abgetrennter Bereich, wo nur Frauen liegen dürfen und dann auch noch ganz nackig. Ich bin überhaupt nicht der FKK-Typ, aber das Damenbad im Krapfenwaldl ist für mich der Inbegriff der Ruhe. Außerdem schert sich hier niemand, wie man aussieht, man wird nicht angesprochen, man wird nicht mal angeschaut. Genau das richtige für mich. Und warum eigentlich sieben Anläufe? Weil ich viel arbeite und mir ständig etwas dazwischen gekommen ist bzw. ließ ich immer wieder etwas dazwischen kommen. Ich arbeite wirklich gerne, mir macht mein Job sehr viel Freude, aber wie das halt so ist für eine selbständige Frau, die noch dazu alleinerziehende Mutter ist – ist das eben auch mit sehr viel Arbeit verbunden. Ich arbeite auch oft an Samstagen oder Feiertagen. Macht mir alles nichts, ich habe ja den nächsten geplanten Urlaub am Meer in Aussicht, sozusagen vor meinem geistigen Auge. Regelmäßige Urlaube leiste ich mir und meiner Tochter gerne, kürzere unter dem Jahr und im Sommer auch einen längeren. Das brauche ich ganz dringend, um die Kraft für meine beruflichen und privaten Herausforderungen zu sammeln. Aber was ich eben nie mache und seit Jahren machen möchte ist, mir einen freien Tag in Wien zu nehmen. Dafür habe ich eine kleine Wunschliste. Auf dieser stehen Dinge wie Picknick im Wienerwald, mit dem Fahrrad die Plätze meiner Kindheit erkunden, Bootfahren an der Alten Donau, Rollschuhfahren auf der Donauinsel und eben auch ein Besuch unter der Woche im Krapfenwaldl. Und da bin ich jetzt, mehr als 30 Jahre später, nackig, auf der unveränderten Holzpritsche und mit meinen beiden Tupperware’s. In dem einen befindet sich ein Wiener Wurstsalat, ja richtig gelesen. Wenn schon retro, dann richtig retro. In dem anderen Erdbeeren mit Sauerrahm. Auch ein Klassiker. Mit Tiroler Nussöl eingeschmiert liege ich unter einer Birke und schreibe diesen Blogeintrag (ist keine Arbeit für mich, das macht mir Spaß). Um auf die Überschrift zurück zu kommen: Soll man sich zur Work-life-Balance zwingen?
JA! Unbedingt. Ich habe mir diesen heutigen ‚Tag der Muße’ freigeschaufelt. Ich habe ihn im Kalender dick durchgestrichen, damit ich mir ja keinen Termin eintragen kann. Und jetzt bin ich hier und erfülle mir einen persönlichen, eigentlich kleinen und mit keinen bzw. kaum Kosten verbundenen Wunsch. Eine Zeitreise in meine Jugend. Es riecht hier genauso wie früher, die Geräusche sind genauso, der Wurstsalat schmeckt wie früher, sogar das Tiroler Nussöl ist unverändert. Ein Sommer wie damals. Ich nenne das ‚Glücksmomente sammeln’. Ich bin stolz darauf, dass ich mich dazu ‚gezwungen’ habe. So, Ihr Lieben, ich widme mich jetzt meinem Buch von Joachim Meyerhoff ‚Die Zweisamkeit der Einzelgänger’, vielleicht schlafe ich auch eine Runde. Oder ich haue mich in die Fluten. Mal sehen. Ich habe ja frei. In diesem Sinne, nehmt euch doch mal frei und macht etwas an einem stinknormalen Arbeitstag, was ihr schon lange wieder einmal machen wolltet. Es lohnt sich! Eure Ursula