‚Eltern im Kampf gegen die Kalorien ihrer Kinder‘ Kurier vom 18.3.2019
Der Kurier hat mich zu meiner großen Freude zu einem Interview eingeladen. Hier das ungekürzte Interview zu diesem überaus wichtigen Thema:
Kurier: Wir erleben derzeit zwei Extreme: Manche Eltern machen sich Sorgen wegen jedes Stücks Zucker. Andere kaufen ihren Kindern ständig Ungesundes. Was ist sinnvoll?
UV: Die Mitte ist sinnvoll. Wir Eltern sollten die Balance für das Thema rund um die richtige Ernährung für unsere Kinder finden. Die Dinge im Kleinen enttabuisieren, damit wir sie im Großen verändern bzw. prägen können. Lassen wir den Kindern ihr Nutella auf der weißen Semmel essen im Hotel beim Frühstück. Lassen wir ihnen ihr Cola, wenn sie mal krank sind, ihren Mc Donalds, wenn wir am Weg zum Schifahren sind und bewusst als Familie auf einen Burger gehen. Aber genauso sollten wir ihr bewusstes Essverhalten prägen, indem wir zu Hause Gutes kochen und essen. Indem wir ihnen das vorleben, was wir uns für sie wünschen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber das ist genau die Herausforderung für uns Eltern und darin liegt der Schlüssel zu einem gesunden und bewussten Essverhalten unserer Kinder. In der Balance und in jenem Teil, den wir steuern können.
Kurier: Wie bekommt man als Familie eine gesunde Routine?
UV: Ich verwende lieber das Wort ‚bewusste’ Ernährung als immer nur ‚gesund’.Denn gesunde Ernährung ist für die meisten Kinder ein Unwort, weil es Verzicht vermuten lässt. Und mit ‚gesund’ kann ich kein Kind motivieren, sein Essverhalten zu verändern. Bewusste Ernährung ist die bewusste Entscheidung, mehr Kluges als Schlechtes zu essen. Ich entscheide mich bewusst, zu Hause CLEAN zu essen. Clean Eating ist nicht einfach ein Modetrend, sondern vielmehr eine Grundhaltung seiner Ernährung gegenüber – die Lebensmittel sind pur, so gut es geht, frei von Konservierungsstoffen und den diversen E-Nummern. Gesundes Essen beginnt beim Einkaufen, geht weiter über das Kochen und schließlich soll es auch schmecken und satt machen. Ich empfehle, die Kinder schon beim Einkaufen miteinzubeziehen. Nehmen wir die Kinder mal auf den Markt mit, in den Supermarkt, zum Bäcker. Lassen wir die Kinder das Obst und die Kräuter riechen. Lassen wir sie das knusprige Brot aus vollem Korn selbst aussuchen. Beim Kochen dürfen sie mithelfen, würzen und abschmecken. Man muss nicht kompliziert kochen! Auch eine Pizza ist ‚erlaubt’. Belegen wir sie selber, machen wir einen großen bunten Salat dazu. Machen wir gesunde, bewusste, saubere Ernährung zu einem Familienprojekt.
Kurier: Manche Kinder sind tatsächlich zu dick. Welche Unterscheidungen machen Sie da?
UV: Die Kinder sind arm, wenn sie dick sind. Sie leiden. Auch wenn sie es überspielen, leiden sie. Der Druck in der Schule ist groß, der Druck, schlank und sportlich zu sein ebenso. Der Erwartungsdruck der Eltern ist auch groß. Eltern wollen, dass ihre Kinder glücklich und gesund sind. Eltern haben Stress, wenn das Kind zu dick ist und übertragen diesen Stress auf das Kind und machen dann leider genau das Falsche, nämlich Druck. Plötzlich heißt es: Iss das nicht, das ist zu fett, zu süß, zu viel. Die Kinder schämen sich und beginnen geheim zu essen. Sie isolieren sich, fühlen sich nicht mehr geliebt und füllen diese Leere wieder mit Essen. Der Teufelskreis hat längst begonnen. Essen tröstet, Essen füllt die Leere, Essen ist der einziger Freund und wird langsam zum Feind.
Kurier: Was raten Sie Eltern, deren Kind etwas übergewichtig ist?
UV: Ich rate den Eltern, bewusste Ernährung zum Familienprojekt zu machen und gleichzeitig, das Kind zum Sport zu animieren. Das ist ganz wichtig! Eine Sportart zu finden, die dem Kind Spaß macht. Ich war ein etwas übergewichtiges Kind, mich hat man in einen Sportverein gesteckt, den ich hasste. Das ist dann auch kontraproduktiv. Daher ist es wichtig einen Sport zu finden, der dem Kind richtig Spaß macht. Vielleicht sogar zusätzlich am Wochenende Bewegung als Familie: Radfahren oder Wandern oder Schwimmen.
Kurier: Was raten Sie Eltern, deren Kind massiv übergewichtig ist?
UV: Einfühlsame Ärzte und eine Psychotherapie. Wenn ein Kind massiv übergewichtig ist, braucht es professionelle Hilfe. Das können die Eltern alleine nicht mehr ‚schaffen’. Aber Vorsicht bei der Wahl: Schauen Sie sich den Arzt, die Ärztin, den Therapeuten, die Therapeutin genau an. Ich empfehle, die Kinder bei den ersten Terminen zu begleiten. Es müssen kompetente und gefühlvolle Menschen sein, denn das Thema ist ein hochsensibles.
Kurier: Wer sollte Eltern dann ins Gewissen reden?
UV: Ich als Ernährungsberaterin führe intensive Elterngespräche. Ich coache sozusagen die Kinder über die Eltern. Ich versuche den Eltern beizubringen, wie sie dieses große, wichtige Thema behutsam in die Familie bringen können. Ich unterstütze somit indirekt die Kinder und Jugendlichen. Oft ist nur ein Kind übergewichtig und die Geschwister nicht. Die Kinder sollen sich unterstützt fühlen und nicht wie ein Außerirdischer, der eine gesonderte Behandlung braucht. Es soll und muss ein Familienprojekt werden, in dem Essen ein Freund und nicht ein Feind ist. Es soll Spaß machen und schmecken.
Kurier: Wie mobilisiert man ein Kind, dass es nicht hinter dem Rücken der Eltern wieder Süßes in sich hineinstopft?
UV: In dem man Geduld mit dem Kind hat und Vertrauen in die Machbarkeit der Veränderung. Projekte brauchen seine Zeit. Beschämen wir die Kinder nicht, wenn wir es merken sondern finden wir heraus, was sie brauchen. ‚Was kann ich tun, wie kann ich dich unterstützen, dass du dich so richtig gut fühlst in deinem Körper?’ Geben wir den Kindern Mut und Zuversicht und ganz viel Liebe.
Kurier: Was kann man machen, wenn man glaubt, dass das eigene Kind unter Bulimie leidet?
UV: Bulimie ist leider weit verbreitet. Bulimie ist ja nicht nur die Ess-Brech-Sucht sondern auch Essen und eine Gegenmaßnahme treffen, also Ess-Sucht und danach strenge Diät halten oder exzessiven Sport machen. Auch das ist Bulimie. Beobachten wir unsere Kinder, beschämen wir sie nicht, sondern unterstützen wir sie. Ich würde mir eine Psychotherapeutin suchen, die ich zuerst als Mutter (als Eltern) alleine aufsuchen würde und mit dieser Therapeutin, diesem Therapeuten würde ich mich besprechen, wie die nächsten Schritte aussehen könnten. Denn auch Eltern brauchen kompetente Unterstützung, wenn ihr Kind an einer Essstörung leidet. Das Thema ist viel zu wichtig und wir alle haben darin keine Ausbildung, daher unbedingt vom Spezialisten Unterstützung holen.
Kurier: Was halten Sie von Diät-Camps?
UV: Wenn diese Camps kompetent, gefühlvoll und mit einer Leichtigkeit gestaltet sind, dann halte ich sehr viel davon. Denn in der Gruppe lässt es sich leichter und vor allem spielerisch abnehmen. Man ist mal für 2 Wochen ‚weg’, hatte Spaß, hat abgenommen, fühlt sich gut und nun kann man als Eltern zu Hause das Familienprojekt ‚Bewusste Ernährung’ ins Leben rufen. Daher sage ich Ja zu guten Diät-Camps aber nur in Verbindung mit einer anschließenden Ernährungsumstellung zu Hause!
Kurier: Gibt es einen Trick aus Ihrer Erfahrungs-Schatzkiste, wie Eltern übergewichtiger Kinder den Umschwung schaffen?Wie schon oben mehrmals erwähnt: Ein Familienprojekt ins Leben rufen.
UV: Gemeinsam einkaufen, gemeinsam kochen, gemeinsam essen. Lässige, familientaugliche Kochbücher kaufen, Freude am Experimentieren haben, die Kinder intensiv miteinbeziehen. Aufmerksamkeit geben statt Druck machen. Unterstützen statt beurteilen. Bei Rückschlägen umso mehr Liebe geben. Diäten sind kurzfristig und frustrieren, weil die abgenommen Kilos gleich wieder oben sind. Man hat das neue Gewicht, das neue Körpergefühl verloren und fühlt sich dann auch als Verlierer, als Loser. Eine Ernährungsumstellung ist die Langstrecke und das einzige, was Sinn macht. Doch benötigt es uns Eltern. Ich versichere Ihnen: Der Aufwand lohnt sich allemal, wenn das Ergebnis ein glückliches Kind ist.